Anselmo Fox

«Incorporazione VI» Kältemaschine mit Projektion

Incorporazione VI macht die Lautlosigkeit paradoxer Übergänge in Grad Celsius meßbar. Der Temperaturunterschied der Luftatmosphäre zum weit unter den Gefrierpunkt gekühlten Rohrsystem schafft aufgrund des daraus resultierenden atmosphärischen Niederschlags eine Projektionsoberfläche. Hat sie einen festgelegten Schwellenwert überschritten, wird diese haarig-pelzige, kristallin-brillante und dabei eisig-brüchige Differenz von ca. fünfundzwanzig Grad zum Bildraum des Intimbereichs von Mundhöhlen beim Zungenkuss. Dabei liegt die Paradoxie des Überganges weniger in der vermeintlich suggerierten Verbindung zwischen natürlich gegebenen und technisch erzeugten Außen- bzw. Innentemperaturen -wäre dies doch nicht mehr als die technisch realisierte Negation des romantischen Topos der Widerspiegelung emotionaler Befindlichkeiten in der Natur. Vielmehr geht es um die uneigentlichen Richtungsverhältnisse und Räume, das bildliche und skulpturale Negativ, Materialspuren anstatt Tonspuren: Das bei Zungenkussszenen in der Filmkunst unsichtbare gegenseitige Eindringen in die Mundhöhle -der Transitraum, der durch die Berührung der beiden Zungen entsteht, wird im Moment, da die Küssenden sich voneinander lösen, sichtbar, anschaulich. Nach jeglichem ersten Kuß bildet der vom Innenraum der eigenen Mundhöhle geschaffene Außenraum ein Hindernis und gleichzeitig an der Stelle, an der die beiden Zungen sich einen Tunnel zueinander gegraben haben, den einzigen Zugang. Aufgrund dieser Materialspur ist der Synchronismus zwischen der Klimax des Berührens und Eindringens verschoben auf die Herausforderung des nächsten Mals. Der intime Innenraum, dessen Kern als Hohlraum gedacht wird, wächst sich zur voluminösen Oberfläche aus. Dieser Aspekt von Berührung und Berührungspunkten findet in den installierten Temperaturunterschieden seine Entsprechung und in deren Niederschlag das chronologisch nicht verortbare, zweifellos aber unwegdenkbare Vorspiel.

Brigitte Obermayr

Biographie

Geboren 1964 in Mendrisio im Schweizer Tessin

1985-1990 Hochschule für Gestaltung in Luzern/Basel. Diplom Klasse für Freie Kunst, Lehramt Bildende Kunst

1990 Förderpreis des Kanton Aargau, Schweiz

1991 Förderpreis der Landis & Gyr-Gesellschaft (Schweiz) im Zusammenhang mit einem Kairo-Aufenthalt

1992-1994 Jazzschule Luzern

Seit 1994 Kultur, Kunst-Wissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin

1998 und 2000 Projektbeitrag Notgemeinschaft für Deutsche Bildende Künstler e.V., Berlin

Seit 1991 Ausstellungen in Deutschland und der Schweiz

Lebt und arbeitet in Berlin